Die Wildshauser Holz- bzw. Leberwurst, 1943-1949

In den Kriegsjahren des 2. Weltkrieges herrschte große Hungersnot. Not macht erfinderisch. So kam man bei der Westfälischen Zellstoff AG in Wildshausen auf die Idee für die menschliche Ernährung einen Schimmelpilz zu züchten.

So wurde im Jahr 1943 in Wildshausen eine zusätzliche Fabrikation für Eiweißgewinnung errichtet. Das Verfahren der Lizenzgeberin, der Biosyn GmbH, sah vor, den in der Natur überall vorkommenden Schimmelpilz Oidium laktis, der sehr eiweißreich und für die menschliche Ernährung bekömmlich ist, in täglichen Mengen von ca. 25.000 kg Feuchtgewicht zu züchten. Der Pilz wurde von den Halbzuckersubstanzen, wie z. B. der Pentosen in der Buchensulfitablauge, die bei der Fabrikation von Zellstoff anfallen, ernährt und konnte sich überproportional vermehren.

Ein Einsatz von täglich ca. 3 g Reinkultur konnte im Verlauf von 4 bis 5 Tagen bis zu 25.000 kg vermehrt werden, das entspricht dem 5- bis 10millionenfachen.


Die ehemalige Zellstofffabrik Wildshausen

Die Skepsis mancher Leute gegen dieses angeblich chemische, in Wirklichkeit aber natürliche pflanzliche Nahrungsmittel war völlig unbegründet. Das Kaiser-Wilhelm Institut in Dortmund, die medizinischen Universitätskliniken in Frankfurt am Main und Leipzig und andere bedeutende Institute hatten wiederholt Untersuchungen der Substanz vorgenommen, die stets positiv verlaufen waren. "Die gesamte Trockensubstanz besteht zu 41% aus Eiweiß", hieß es in einer Untersuchung von Professor Kraut. Feststellungen ergaben, dass 40 von den 41% im menschlichen Organismus verwertet wurden. Zum Vergleich Fleisch hat durchschnittlich 30% Eiweißgehalt.

Als es für die menschliche Ernährung freigegeben wurde, ging es in den Jahren 1943 und 1944 in großen Mengen an die kriegswirtschaftlich ausgerichteten Werksküchen, die lediglich die Würzung und die Konservierung vornahmen. Nach dem Krieg war es sehr begehrt bei einer weltbekannten Großkäserei in Süddeutschland und bei der Braunschweiger und Gütersloher Fleischwarenfabrikation zur Herstellung von Brotaufstrichen aller Art. Im Volksmund spricht man heute noch von der Wildshauser „Holzwurst" oder Wildshauser "Leberwurst", was natürlich eine völlig falsche Bezeichnung ist. Mitte 1949 wurde diese Fabrikation eingestellt, mit der das Unternehmen über die schwere Zeit der letzten Kriegsjahre und die ersten Nachkriegsjahre kam. Die Ware war für die in der Zwischenzeit gesättigte Bevölkerung nicht mehr gut genug und als Viehfutter zu teuer.

Foto und Bericht: Archiv, Antonius Kordel