Keine Stolpersteine für Freienohl - Freienohler Juden gedenken wir!

Aktualisierung - Juli 2013

unter diesem Link können Sie den ausführlichen Bericht zum Gedenken an freienohler Juden als PDF herunterladen.

 

Vorwort

In Meschede sollen so genannte Stolpersteine verlegt werden. Dabei handelt es sich um ein Projekt, mit dem an ehemalige jüdische Mitbürger erinnert wird, die durch die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten zu Tode gekommen sind.

Herr Heinrich Pasternak hat für den Ortsteil Freienohl dieses Thema sehr gründlich aufgearbeitet. Er appelliert in Erinnerung an die vom Nazi-Regime 1933-45 in Konzentrationslagern ermordeten Freienohler Juden anstatt der Stolpersteine eine Gedenktafel links vor das Freienohler Amtshaus zu stellen.

 

Keine Stolpersteine in Freienohl

 „Stolpersteine“ kann es in Freienohl nicht geben. Denn der Kölner Bildhauer Gunter Demnig hat für die von ihm entwickelte Idee und Praxis zurecht bestimmte Regeln aufgestellt. Und diese Regeln lassen diesen Weg des Gedenkens der vom Nazi-Regime ermordeten, hingerichteten Juden nicht zu. Die Freienohler Juden, die im KZ ermordet, vergast worden sind, lebten vor ihrer Gefangennahme, Deportation nicht mehr in ihrem Wohnhaus in Freienohl, sie waren auch nicht aus ihrem Wohnhaus in Freienohl ins Ausland geflüchtet, - nach Holland -, von wo aus sie gefangen genommen in ein KZ deportiert worden sind, oder auf dem Weg dorthin ermordet worden sind.

Wenn Stolpersteine in Freienohl doch möglich gewesen wären, hätte man auf schnell vergessene Geldspenden von gut gemeinten Förder-Vereinigungen verzichtet. Dann wären Schülerinnen und Schüler gründlich informiert worden über das Zusammenleben mit jüdischen Familien in Freienohl auch während der NS-Zeit, dann hätten die Jugendlichen mit selbst entworfenen Flyern und Sammeldosen an geeigneten Zeiten und Stellen Geldspenden gesammelt – und gewiss für jeden Stolperstein 95 € zusammen bekommen. Und es wäre mehr passiert als nur ein Stolpern.

 

Gedenktafel für Freienohl!

In Erinnerung an die vom Nazi-Regime 1933-45 im Konzentrationslagern ermordeten Freienohler Juden sollte anstatt der Stolpersteine eine Gedenktafel links vor dem ehem. Freienohler Amtshaus aufgestellt werden. Auf dieser Gedenktafel soll an nachfolgende Freienohler Juden gedacht werden:

Freienohler Juden gedenken wir! - Vom Nazi-Regime 1933-1945 im Konzentrationslager ermordet:

Debora Funke geb. Emmerich, geb. 1881 / ermordet KZ Auschwitz

Meier Max Jacob, geb. 1885 / ermordet KZ Lublin
Ehefrau Jenny Jacob geb. Grüneberg, geb. 1883 / ermordet KZ Lublin
Tochter Grete Fanny Jacob, geb. 1921 / ermordet KZ Lublin

Henriette Nathan geb. Hertz, geb. 1885 / ermordet KZ Litzmannstadt
Tochter Hilde Fanny Nathan, geb. 1909 / ermordet KZ Litzmannstadt

Rosalie Winter geb. Jacob, geb. 1886 / ermordet 1945

 

Gedenktafel für den Innenraum

Darüberhinaus sollte eine etwas ausführlichere Fassung der Außen-Gedenktafel links im Innenraum des ehem. Amtshauses an die vom Nazi-Regime 1933-1945 im Konzentrationslager ermordeten Freienohler Juden erinnern:

Freienohler Juden gedenken wir! - Vom Nazi-Regime 1933-1945 im Konzentrationslager ermordet:

Debora Funke geb. Emmerich, geb. 1881 in Freienohl, vergast im KZ Auschwitz behördlich als tot erklärt zum 8. Mai 1945. Sie war in Arnsberg verheiratet mit Max Funke, geb. 1867, gest. 1943 in Dinxperlo / Niederlande. Ihre Eltern: Alexander Emmerich verheiratet mit Jettchen Rosenthal, deren Kinder: Wilhelm, Alma, Debora, Julius, Alfred.

Meier Max Jacob  (Jacob = Nachname), geb. 1885 in Freienohl, verheiratet  1910 mit Jenny Grüneberg, geb. 1883 in Allendorf; deren Kinder: Erich, Henriette, Ilse, Werner und Grete Fanny Jacob, geb. 1921 in Lenhausen (dorthin war die Familie etwa 1910 umgezogen); Grete Fanny Jacob wurde mit 21 Jahren im November 1942 im KZ Lublin vergast; ihre Eltern wurden vergast im KZ Lublin zwischen 1943 – 1945.

Henriette Nathan geb. Hertz und ihre Tochter Hilde Fanny Nathan. Henriette Nathan geb. Hertz, geb. 1885 in Grevenbroich bei Köln, verheiratet mit Joseph Nathan, geb. 1882 in Beelen / Warendorf, gest. 1931 in Freienohl; ihre Tochter Hilde Fanny Nathan, geb. 1909 in Freienohl. Mutter und Tochter sind 1931 umgezogen nach Köln. Von Köln werden beide 1939 deportiert ins KZ Litzmannstadt / Lodz und werden dort vergast; ihr Sterbedatum ist unbekannt. Behördlich werden sie zum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Rosalie Jacob, geb. 13.9.1886 in Freienohl, in Düsseldorf verheiratet mit Karl Winter mit ihren beiden Kindern Rolf und Adolf Winter; als verschollen erklärt zum 1. November 1941, als  durch das Nazi-Regime für tot erklärt zum 8. Mai 1945.

 

Wohnhäuser: Freienohler Zusammenleben mit jüdischen Familien

Die Jahreszahlen sind oft der Wohnbeginn; das Wohnende ist hier nicht angegeben. Damals waren die Alten-Haus-Nummern gebräuchlicher als die Straßen-Namen. In dieser Auflistung stehen nicht die früheren und späteren Bewohner. Die früheren und späteren Bewohner stehen in der ausführlicheren Liste.

Alte-Haus-Nr. 9b / Bergstr. 2:
1846: Levi Löwenbach, Metzger, Krämer; Ehefrau Rosa (Settchen) Bellerstein; Kinder: Nettchen / Nannchen / Jeanette, Bendix, Abraham, Dina, Ludwig

Alte-Haus-Nr. 15 / Bergstr. 9:
1848...1880: Meier Jacob, Handelsmann: Ehefrau Sophia Oppenheimer; Kinder: Joseph, Amalie, Marlene, Daniel, Raphael (Alte-Haus-Nr. 102), Dina, Jacob; Bernard (Beer) Oppenheimer, Handelsmann, Vater von Sophia. Umzug der Familie nach Lenhausen.

Alte-Haus-Nr. 34 / Bergstr.
1880: Ransenberg (ohne Vornamen 1 m., 1 w.)

Alte-Haus-Nr. 40 / St. Nikolaus-Str. 12:
1845: Bendix Ransenberg (auch mit z); Ehefrau Johanna / Hannchen Bentheim; Kinder: Emanuel (Alte-Haus-Nr. 88), Antonette, Helena, Pauline / Karoline (Familie Jacob), Julchen, Meyer, Rika, Jakob.

Alte-Haus-Nr. 68 / Hauptstr. 31:
1848...1879: Leser Rosenthal; Ehefrau Julie (Julchen) Rotschild; (wohnen vorher Alte-Haus-Nr. 105 / Alter Weg 13); Kinder: Joseph, Sophia, Lisette, Benjamin, Albert, Hermann, Hedwig, Helene, Julius, Julchen. - Sophia: konvertiert (kath.), Heirat in Freienohl: Johannes Schilling / Eslohe; Tochter Sophia (geb. 1869).
1880: Alexander Emmerich, Kaufmann; Ehefrau Jettchen Rosenthal; Kinder: Wilhelm, Alma, Debora, Julius, Alfred (Kinder: Hans-Walter, Ruth).

Alte-Haus-Nr. / Auf´m Ufer (wohl nur Grundstück, kein Haus-Bau):
1928: Bendix Löwenbach, Ehefrau Helena Ransenberg; Kinder: Dina, Emilie.

Alte-Haus-Nr. 88 a / Hauptstr. 34:
1882: Emanuel Ransenberg (wohl nur kurz Untermieter).

Alte-Haus-Nr. 90 / Hauptstr. 3:
1851: Levi Löwenbach, Metzger, Krämer (Alte-Haus-Nr. 9); Ehefrau Rosa (Jettchen) Bellerstein; Kinder: Nettchen, Bendix, Abraham, Dina, Ludwig; als Knecht Joseph Jacob.
1875: Bendix Löwenbach (Sohn von Levi); Ehefrau Dina / Helena Ransenberg (Calle); Kinder: Dina, Emilie.
1905: Joseph Nathan, Kaufmann; Ehefrau Henriette Hertz; Tochter Hilde Fanny Nathan (nach dem Tod von Joseph N., 1931, Umzug nach Köln).
1931: Familie Heumann, Münster, Mieter; (1937: Übergabe an Olga Becker / Boll).

Alte-Haus-Nr. 102 / Hauptstr. 51:
1895: Raphael Jacob (Sohn von Meier Jacob, Alte-Haus-Nr. 15) Handelsmann, Pferdehändler; Ehefrau Pauline genannt Karolinie Ransenberg; Kinder: Meier (= Max, Ehefrau Jenny Grüneberg 7 Arnsberg), Joseph, Albert (Ehefrau Thersia Block), Pina (Ehemann Paul Zander), Louise.
1913: Paul Zander (ev.), Schreiner; Ehefrau Pina Jacob; Kinder (ev.): Frieda, Paula, Hermann.

Alte-Haus-Nr. 105 / Alter Weg 13:
1842: Leser Rosenthal, Krämer; Ehefrau Julia Rotschild; Kind: Joseph (s.o. Alte-Haus-Nr. 68).

Alte-Haus-Nr. 338 / Grimmestr. 13:
1926: Pina Zander geb. Jacob (s.o. Alte-Haus-Nr. 102).

Anstatt der Stolpersteine könnte man vergleichbar mit dem Lindauer -Friedensweg auch den „Freienohler Friedensweg“ (entlang der o. a. Häuser, Denkmäler, etc. ) gehen.

Der Lindauer Friedensweg greift die Stadtgeschichte auf, Ereignisse von Krieg und Frieden, noch heute sichtbare Zeichen, Orte und Gebäude, Mahnmale für den Frieden. Geschichte und Gegenwart werden miteinander verknüpft, Schritte zum Frieden an Hand von 10 Stationen sichtbar gemacht.

 

Der Rückblick allein reicht heutzutage nicht mehr!

Christliche Gedanken von Heinrich Pasternak

„Geschichte liegt nicht hinter uns. Geschichte liegt in uns. Geschichte ist der Humus, auf dem die Zukunft wächst. Herkunft bleibt Zukunft.“ (Gerl-Falkowitz)

Das möglichst gründliche und korrekte Wahrnehmen des Aktenmaterials im Archiv Freienohl im Stadtarchiv Meschede über das Zusammenleben der Freienohler mit den jüdischen Familien und das auszugsweise Beifügen – zugespitzt auf Freienohl und vielleicht auch Freienohler Wissen - der historischen, zumeist behördlichen Quellen für das Zusammenleben reicht heutzutage nicht mehr aus. Zur kulturellen Entwicklung eines Einzelnen und einer kleinen und einer geradezu zahllosen Gemeinde (um das Wort Volk nicht zu beanspruchen) gehört auch das Einholen der Gegenwart für die Zukunft. „“Wir weisen alle Versuche zurück, einen Schlussstrich unter unsere deutsche Geschichte bis 1945 zu ziehen.“ (EKD Denkschrift)

Historisch sicher seit den letzten 50 Jahren beziehen jedenfalls Christen in ihr Zusammenleben mit Juden diese 10 Erfahrungen in ihre kulturelle Entwicklung mit ein. Weil es sich bei den Juden vornehmlich um eine Religion handelt, ist hier die Sicht vom Christentum aus der Jetztzeit gewählt, für manche freilich eine noch ungewohnte Sehweise:

  1. Die Juden sind die älteren Brüder und Schwestern der Christen.
  2. Die bisherige Weltsicht und Geschichtsschreibung ist für Christen bezüglich der Juden in Wort und Tat inzwischen ins Gegenteil verkehrt.
  3. Einen ersten Zugang für eine neue Weltsicht und Geschichtsbetrachtung bieten die Texte „Freienohler Juden gedenken wir! Vom Nazi-Regime 1933-1945 im Konzentrationslager umgekommen“ und „Liste der 11 Häuser, in denen Freienohler Juden gelebt haben“. Denn „Geschichte ist zu begreifen als ein Potential, als eine Sammlung des bisher Wirklichen, des bisher Wirksamen. Geschichte ist zu begreifen als Humus alles Folgenden.“ (Gerl-Falkowitz) Als Humus aller folgenden Freienohler, Eingesessener und Buiterlinge.
  4. Das von Juden täglich dreimal gebetete Schma Israel (Altes Testament, Deuteronomium 6,4) wird auch immer schon von Christen gebetet: „Höre, Israel, Jahwe, unser Gott ist einzig.“ Oder auch: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig.“ Oder Hebräisch in deutscher Umschrift: „scham jisrael adonai elchenu adonai echad“ Das Gebet an den EINEN Gott, formuliert auch in den alttestamentlichen Psalmen, auch in anderen liturgischen (offiziellen) Gebeten, ist Juden und Christen gemeinsam.
  5. Jesus von Nazareth war Jude und ist es immer geblieben. Seine jüdische Identität gehört unbedingt zu seiner menschlichen Natur. Wer Jesus begegnet, der trifft auf das Judentum. Wer das Christentum von den Wurzeln her erneuern will, der muss viel schärfer auf das Judentum eingehen als auf die griechische Philosophie.
  6. Das Gebot der christlichen Nächstenliebe ist zunächst ein alttestamentliches Gebot, also zunächst ein jüdisches Lebensprogramm (Altes Testament, Leviticus 19,18): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Ich bin der Herr.“
  7. Wer das Alte Testament vom Christentum trennt, zerstört seine Wurzeln. Mit „seine“ sind der Zerstörer und das Christentum gemeint.  
  8. Alle neutestamentlichen Autoren betrachten den christlichen Glauben keineswegs als unjüdisch. Die Evangelien verstehen sich als Relecture, als erneute, kommentierte Lektüre der Schriften des Alten Testaments.
  9. Die christozentrischen, die auf Jesus Christus bezogenen Aussagen sind in das theozentrische, auf das Gott bezogene Bekenntnis zu integrieren. Denn die Einzigkeit Gottes ist nicht in Frage zu stellen. Mit dem Judentum wurde der „nie gekündigte“ Bund geschlossen.
  10. Dominante, vorherrschende Fehler der Christen, der Zugehörigen anderer Religionen und nicht religiöser Menschen in der Beurteilung des Judentums können aufgrund der Publikationen, Arbeiten, Arbeitsaufträge auf den Feldern Theologie, Philosophie, Historie + Geschichte und Politik der beiden letzten Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. behoben werden. Die Fehler sind, - und waren -, die Gleichsetzung des Judentums mit Materialismus, Magie, Chauvinismus, Leistungsstolz, Heuchelei, mechanische Frömmigkeit und Menschenfeindlichkeit. Bei der Beseitigung dieser Fehler-Beurteilungen im Blick auf das Judentum brauchen sich die Christen im Gespräch, in der Kommunikation mit dem Judentum vom Glauben an die Dreifaltigkeit / Dreieinigkeit Gottes nicht zu distanzieren, ihn nicht zu opfern. Die Erinnerung zurück, oder der Schritt vom Lesen des Denkmals in Freienohl bis hin zum „Verstehmal“ ist qualitativ zu wenig, zu kurz. Zur Kultur gehört die kulturelle Entwicklung nach vorn, in die Zukunft. Aus der EKD-Denkschrift: „Gemeinsame Handlungsfelder von Christen und Juden werden im Bereich der Menschenrechte, der Bewahrung der Schöpfung, der Sonntagsheiligung und des Minderheitenschutzes gesehen. Die Bemühungen sind zentrale Herausforderung und bleibende Aufgabe.“ Stolpern ist zu wenig.


Literaturempfehlung:

  • Gideon Greif: „Wir weinten tränenlos“
  • Gideon Greif „Die Jeckes“
  • Mordechai Ciechanowie „Der Dachdecker von Auschwitz-Birkenau“
  • Shlomo Venezia „Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz“
  • Eric Friedler „Zeugen aus der Todeszone: Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz“
  • „Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust: Im Labyrint Täter – Opfer – Ankläger. Jahrbuch 2003“: Fritz Bauer Institut
  • Genka Yankova: „Die Opfer schreiben: Tagebücher aus der Holocaustzeit“
  • Miklós Nviszli: „Im Jenseits der Menschlichkeit: Ein Gerichtsmediziner in Auschwitz
  • Wieslaw Kielar: Anus Mundi: Fünf Jahre Auschwitz“
  • Liana Millu: „Der Rauch über Birkenau“
  • Mascha Rolnikaite: „Ich muss erzählen: Mein Tagebuch. 1941-1945“
  • Hetty E. Verolme: „Wir Kinder von Bergen-Belsen“
  • Tadeusz Sobolewicz: „Aus der Hölle zurück. Von der Willkür des Überlebens im KZ
  • Carlo Ross: „Im Vorhof der Hölle. Ein Buch gegen das Vergessen“


 

Heinrich Pasternak, Freienohl, 30.06.2011