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Geschichtliches rund um unsere alte Schule von 1878
Vier Gedenkminuten vor und in unserem Freienohler Amtshaus
von Heinrich Pasternak
Damals gelegen mitten in der Einfahrt in die Mittelstraße, in die jetzige St. Nikolaus-Straße, mit noch etwas Platz für ein Fuhrwerk, jetzt zwischen der Volksbank und dem Haus mit dem Friseur-Salon Bornemann entstand das Schulhaus mit Amtsbüro.
Ein paar Jahre weiter. Da steht an der Stelle vom ehemaligen Amtshaus das „Senioren-Amtshaus“ für Alleinstehende, Paare und mit einem Hospiz-Bereich. Von der Ruhr-Seite der immer wieder neue Blick zur Langelbrücke, zum Hohlknochen, über ihm die Kapellen-Spitze vom Waldfriedhof und dann zum Küppel. An der Straßen-Seite, da wo früher das Schild vom „Bürgerbüro“ stand, nun die Leporello artige Tafel: „Vier Gedenkminuten“. Gut und gemütlich sitzt da mancher Polbürger und Buiterling. Manche träumen, manche erinnern sich an früher, an das, was ihnen ihre Großeltern erzählt haben. Von ganz früher, von 1878 bis 1890 hier lernenden Mädchenklassen: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!“ Nicht das Steingebäude, sondern die Erinnerung; und die erweitert sich sofort: Johann Wolfgang Goethe: Faust. Manche hören auch die Steine reden: Ich wurde im Mühlenberg gehauen, dicht bei der Schmießhütte (das war die Werkstatt des Schmieds, der die Hämmer und Keile reparierte). Andere Steine: Ich wurde angefahren aus Olpe, aus Berge, von daneben Frenkhausen.
Was ist denn nun mit den vier Gedenkminuten?
Die erste Gedenkminute
hat mit dem Platz des Amtshauses zu tun. Anfang 1870 musste Freienohl ein neues Schul-Gebäude bauen: Schulhaus+Amtsbureau (so war damals die Rechtschreibung) in einem. Der geeignetste Platz dafür war der Garten der Familie Leser Rosenthal. Sie hat ihr Grundstück der Gemeinde verkauft. Darum gilt die erste Gedenkminute dieser ersten jüdischen Familie in Freienohl. Näheres und ziemlich wörtlich: Am 3. Februar und am 11. August 1842 erscheint auf dem Amt in Freienohl damals gelegen mitten in der Einfahrt in die Mittelstraße, in die jetzige St. Nikolaus-Straße, mit noch etwas Platz für ein Fuhrwerk, jetzt zwischen der Volksbank und dem Haus mit dem Friseur-Salon der Friseur-Meisterin Frau Brigitte Bornemann, da also erscheint der Hebräer und Handelsdiener Leser Rosenthal aus Beringhausen bei Brilon, wo er ein gesetzliches Domizil (Wohnhaus) besitzt. Seine Eltern sind gestorben. Er legt seine Geburtsurkunde vor: 26. September 1811 in Beringhausen. Er habe sich stets unbescholten und rechtlich geführt. Wegen seiner schwächlichen Construction (!) war er vom Militärdienst befreit. Er bittet darum, sich in Freienohl etablieren zu dürfen. Die üblicherweise beim Landrat Freiherrn von Lilien in Arnsberg eingereichten Unterlagen:vom 30. Oktober 1842 bescheinigen: „Die Niederlassung kann nicht verweigert werden, wenn derselbe arbeits- und erwerbsfähig ist.“
Der Freienohler Gemeinderat ist da anderer Meinung im Protokoll vom 4. November 1842: „Die Gemeinderäte könnten sich nicht damit einverstanden erklären, dass ein Jude sich hier niederlässt. Die Gemeinde habe solche noch niemals hier aufgenommen, und sie seien der Meinung, dass die Juden, welche in der Regel nur handeln wollten und arbeitslos seien, einer Gemeinde nur nachteilig seien.“- Die damaligen Freienohler Gemeinderäte wussten demnach nicht, dass die für Freienohl, für die Existenzfähigkeit der Familien und der Gemeinde, notwendigen, Not wendenden Arbeiten den Juden nicht erlaubt waren. Ihnen war nur gestattet: Handelsmann (unterwegs sein), Kaufmann (im Ort leben) und der Schlachter (letzterer wegen der religiös gedeuteten Schlacht-Bräuche). - Am 27. Dezember 1842 folgt dann doch die Genehmigung.
Die Familie Rosenthal wohnte Alter Weg 13, Alte Haus-Nr. 105. - Die Familie Rosenthal: Leser (Leezer, Lazarus) Rosenthal, Handelsmann, Heirat am 25. Mai 1845 mit Julie / Julchen geb. Rotschild aus Hovestadt (Hauersstadt), Kreis Soest, geb. 7. Oktober 1819. Ihre Kinder: 1. Joseph Benjamin Rosenthal, geb. 17.02.1846. 1866 als Soldat gemeldet im Verzeichnis israelitische Gemeindemitglieder zu Freienohl. Er fiel im Krieg gegen Frankreich am 06.08.1870 in Wörth (siehe 4. Gedenkminute).- 2. Sophia Rosenthal, geb. 06.05.1847. 3. Lisette Rosenthal, geb. –.--.1849. - 4. Benjamin Rosenthal, geb. 15.02.1850. - 5. Albert Rosenthal, geb. 27.11.1851. - 6. Hermann Rosenthal, geb. 10.07.1853. 7. Hedwig Rosenthal, 21.06.1854. - 8. Helene Rosenthal, geb. 11.06.1855. - 9. Julius Rosenthal, geb. 31.08.1856. - 10. Jettchen Rosenthal, geb. 07.11.1958; sie heiratete am 20.08.1877 den Juden Alexander Emmerich. - Auffällig sind die nichtjüdischen Vornamen ab Sohn Albert. - 1846 ist Magd im Haus: Florentine Weber, katholisch, 16 Jahre alt. - Ab 1901 wohnt hier (Alter Weg 13) Bahnwärter Joseph Rocholl; Witwe Antonette geb. Feldmann. - Seit 1855 wohnt Familie Leser Rosenthal als Eigentümerin im Haus Alte Haus-Nr. 68 (dann Emmerich, jetzt Hömberg).
Die Akten-Nummern zu diese jüdischen Familie im Stadtarchiv Meschede im Amtshaus Freienohl: A 1127, A 2224, A 1070, A 1169, A 2170 zum Selberlesen.
Die erste Gedenkminute gilt also der jüdischen Familie. Denn das Freienohler Amtshaus steht auf einem ursprünglich jüdischen Garten, auf dem Garten der Familie Leser Rosenthal. Das zeigt ein selbstverständliches Zusammenleben. Ein Garten diente damals vor allem dem Anbau von Kartoffeln. Gemüse, Kohl usw. für die alltäglichen Lebensbedürfnisse einer großen Familie.
Die zweite Gedenkminute
Die Grundlage für die zweite Gedenkminute ist das notwendig gewordene Schulhaus. Langsam und doch beständig wuchs die Einwohnerzahl in Freienohl, auch zu sehen an den Schulkindern.
Schuljahrgang 1921/22 im ehem. Schulgebäude
1841: 96 Jungen und 109 Mädchen;
1866: 122 Jungen und 118 Mädchen;
1872: 127 Jungen und 107 Mädchen;
1875: 240 Jungen und Mädchen;
Bei der Bauplatz-Suche kam im Gemeinderat der Gördes`-sche Garten aus den Jahren um 1843 noch einmal zur Sprache. Gemeint ist die Parzelle 676; aus heutiger Sicht: wenn man auf dem Breiten Weg steht, auf dem Grundstück rechts von Mobi Doc, da, wo vorher das – so darf man mit dankbarer Erinnerung sagen – das „Kaufhaus“ Kneuper Weber stand, da befand sich der Gördes`sche Garten.
Parzelle 676; aus heutiger Sicht: wenn man auf dem Breiten Weg steht, auf dem Grundstück rechts von Mobi Doc, da, wo vorher das – so darf man mit dankbarer Erinnerung sagen – das „Kaufhaus“ Kneuper Weber stand, da befand sich der Gördes`sche Garten.
Aber dieser Platz wurde auch jetzt wieder abgelehnt: „Für die Kinder ist der Weg zu lang (zuerst zur Kirche und dann von der Kirche, auch für den Pfarrer und Lehrer-Küster-Organisten; aber diese Klammer steht nicht in der Akte), auch wegen mancherlei Gefahren, insbesondere durch Verunglückung durch Fuhrwerke bei dem schwer abschüssigen Terrain“.-
Da zeigte sich der Garten der Familie Leser Rosenthal als der geeignetste Bauplatz für das Projekt Schulhaus+Amtsbureau.
„Am 24. Januar 1878 gibt der Zimmerermeister Franz Korte dem Amtmann von Keiser bekannt, dass das neue Schulgebäude fertig zur Abnahme ist.“ (A 1319) In dieser neuen Schule lernten 2 Mädchenklassen. Die waren gewiss artiger (so sagte man damals) als die 2 Jungenklassen. Die blieben in der alten Schule. - Was in diesen Jahren unterrichtet, gelernt wurde, solche Schulbücher lassen sich finden und lesen im Stadtarchiv. Auch beim Vorbeigehen lässt sich dieser vielen Schulkinder gedenken. Sie sind ja Vorfahren für unser jetziges Freienohl.
Die dritte Gedenkminute
schließt sich leicht an: Während die Schulkinder rechts über den Turn- und Spielplatz am Schulhaus vorbei gingen und dann hinten herum hinein, eben vor dem Garten der Lehrerin, die mit im Schulhaus wohnte, da gingen dann vorn durch den Haupteingang der Amtmann, der Gemeinde-Sekretär, der Polizeidiener, die Gemeinde-Räte und die Freienohler Bürger in das Amtsbureau (das immer noch so geschrieben wurde). Was hier beraten und entschieden, beklagt und zufrieden erledigt wurde, das lässt sich in den Protokollen nachlesen, leichter in den Zeitungen jener Jahre, denn die werden im Stadtarchiv auch aufbewahrt. Die Verwaltungsarbeit wurde immer gewichtiger, zeitaufwendiger, die Protokolle wurden immer noch mit der Hand geschrieben, alle Wünsche und vor allem Beschwerden der Bürger. Schnell wurde der Platz zu klein für die schule und das Amt. Die Schule erhielt einen Neubau, schon nach 12 Jahren, 1890, das spätere Feuerwehrhaus Die dritte Gedenkminute braucht sich ja nur an das gut Geleistete in diesem Amtshaus zu erinnern.
Und die vierte Gedenkminute?
Wo doch aller guten Dinge nur drei sind! Sagt man. Noch im Jahr 2011 ist das sichtbare Zeichen leicht wahrzunehmen: die Gedenk-Säule rechts neben dem Amtshaus für das Gedenken an die Freienohler Gefallenen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Hierbei wird auch wieder an die erste Gedenkminute erinnert: an das gute Zusammenleben mit den jüdischen Familien in Freienohl, hier mit der Familie Leser Rosenthal. Jetzt wird hervorgehoben das Gedenken an den ältesten Sohn Joseph Rosenthal. Auch er wusste sich als Soldat als Freienohler Bürger. Er fiel am 06.08.1870 in Wörth und er gehörte dem Infantrie-Regiment Nr. 82. Und bei der Feier der Einweihung dieses Kriegerdenkmals wird der Vater Leser Rosenthal dabei gewesen sein (denn auf Grund eines Listen-Eintrags im Freienohler Pfarrarchiv Akte A 29 aus dem Jahr 1893 ist das anzunehmen).
Kriegerdenkmal am Amtshaus
Der damalige Pfarrer Julius Falter schreibt in seiner Chronik: „Am 21. Juli 1887 wurde im Beisein des Regierungspräsidenten von Rosen, des Landrats Freusberg in Arnsberg und des Bezirks-Commandeurs Major von Heineccius in Meschede das Kriegerdenkmal eingeweiht, bei welcher Gelegenheit der genannte Präsident die Festrede hielt. Es wohnten der Feier noch mehrere Offiziere, 8 fremde und der hiesige Kriegerverein, der Ortspfarrer, im ganzen gegen zwei tausend Personen bei.“
Wieder in die Zeit: „Ein paar Jahre weiter“!
Nachts. Ziemlich dunkel. Freienohler junge Leute. Sie kommen aus dem „I-Punkt“ Sie bleiben noch an „Schmidten Ecke“ stehen. Sie erinnern sich auch an Goethes Zweizeiler. Der Erste: „Ich war vorher noch bei Oppa!“ Das O wird in Freienohl kurz gesprochen, darum Doppel-p. Er spricht weiter: „Ist ganz praktisch da das neue „Senioren-Amtshaus“ nach dem Abriss des alten Amtshauses - schon wegen des Blicks auf unseren Küppel!“
Der Zweite: „Omma sagt auch, wenn ich vor dem Schlafengehen den Küppel sehe und das Licht von der Küppel-Kapelle, dann schlaf` ich ganz ruhig ein.“ Der Dritte: „Unsere Kinder schauen auch gern mal eben bei Omma und Oppa `rein. Die freuen sich dann richtig!“ Der Vierte: „Die Krieger-Säule mit unserem Juden steht ja jetzt hinter`m Haus im Garten. Unser Oppa hat unserm Großen auch erzählt, was dieses Denkmal bedeutet.“
Der da auf der Bank sitzt, der sich nicht in den „I-Punkt“ getraut, in die Wirtschaft gegenüber, die „mehr als nur ´ne Kneipe“ ist, schmunzelt: Diese Vier waren noch ein echter I-Punkt aufs „i“.
Heinrich Pasternak, 2011