Wie sah es in Freienohl 1883 aus und Erinnerungen des Jahrgangs 1883


Freienohl um 1895

Wie sah es in Freienohl 1883 aus, wo wir geboren wurden?

"Wohl kaum einer von uns hat einmal versucht zu schildern, wie es in Freienohl aussah, als wir geboren wurden. So will ich im nachfolgenden versuchen und berichten, was ich von den alten Leuten behalten habe.

Es war eine sehr traurige, armselige Zeit. Fabriken gab es hier und in der Umgebung sehr wenig. Tagelöhner erhielten bei den Bauern 70 Pfennig bis 1,- Mark und die Kost. In Wildshausen zahlte man pro Tag 1,80 Mark an Lohn. 5 Uhr früh gingen sie hin und um 7 - 8 Uhr abends kamen sie wieder zurück. Holzhauer fuhren in die Fremde und bei tiefem Schnee im Winter, spielten sie oft monatelang Karten und gingen des Nachts auf die Jagd. Bei der Entdeckung von Amerika soll seinerseits schon dort ein Freienohler auf dem Steinhaufen gesessen haben.

1883 wurden auf dem Amt hier 48 neue Erdenbürger angemeldet, 23 Mädchen und 25 Jungen. Viele Kinder haben wir gar nicht gekannt; sind früh gestorben, denn hier waren kein Arzt und keine Apotheke. Da mussten wir schon nach Meschede oder Arnsberg laufen.

Der alte Pastor Adams war gestorben und infolge des Kulturkampfes blieb die Stelle unbesetzt. Wir sind vom Dechant Berens in Rumbeck und vom späteren Domkapitular Bartels aus Paderborn getauft worden. Die Leute mussten nach Rumbeck oder nach Calle des Sonntags zur Kirche. Der damalige Amtmann hieß Enser und Toenne war Gemeindevorsteher.

Die Straßen waren nicht gepflastert und glichen Feldwegen. Die Hauptstrasse wurde abgekratzt und im Dunkeln konnte man sich in den „Pannekaukens" baden. Die Pohlbürgerhöfe der Bauern, auf der Berg- Mittel- und Krummestraße und am Hügel, waren mit Stroh bedeckt. Mit der Hand konnte man daran fassen. Das Wasser wurde aus den Brunnen geholt und die Tranfunsel [ugs. sehr schwache Lampe] spendete das Licht.

Die alte Schule war auch schon, und zur Aushilfe wurde das halbe Amtshaus benutzt. Wir sind dort in die Schule gekommen. Freienohl hatte ca. 200 Häuser mit 1100 Einwohnern. 7 Wirtschaften gab es. Große Schaufenster gab es noch nicht.

Die Post wurde von Oeventrop per Wagen geholt und 2 Briefträger trugen diese bis nach Grevenstein hinauf aus. Für die Feuersbrunst waren 3 Feuerteiche vorhanden, der Düringsteich, der Kletterpott und Ruckenpott. Es gab einen Kuh- und einen Schweinehirt.

Die Streu für den Stall, bestehend aus Laub oder Heidekraut, wurde aus dem Walde geholt, und auch der Hausbrand. Die kleinen Leute und die Kinder holten das Holz auf dem Rücken. Die Stricke lagen wenn wir aus der Schule kamen, neben dem Kraut oder Käsebutter auf dem Tisch.

Die Leute mussten ihr Korn mit dem Flegel dreschen und das Brot selber backen. Wir schliefen in Strohbetten und deckten uns mit Haferkaff zu. Schürzen und alte Lumpen dienten als Fenstervorhänge.

Hier und da gab es auch schon einen Christbaum, und da hing aber nun alles dran. Auf den Straßen wurde geknippelt, Ball geworfen, Mutte gehütet und Buselkatte gejagt. So sah es ungefähr in unseren Kinderjahren aus!"


Freienohl um 1900

 

Wiedersehensfeier der 1883er am 9. August 1953

Festansprache

Wenn wir heute als 70 jährige unserer Jugendjahre gedenken und als Schulkameraden unsere Jugenderlebnisse nochmals an unserem Gedächtnis vorbei ziehen lassen, so ist dieses kein Zufall sondern ein innerlicher Trieb der Zusammenhörigkeit, es ist ein Drang der Entspannung zu wissen, wie geht es diesem und jenen, wer lebt noch, was macht er, wo ist er heute, wie hat es ihm ergangen, wo wohnt er, geht es ihm gesundheitlich noch gut u.s.w. mehr.

Lange Jahrzehnte liegen zwischen der gemeinsamen Schulzeit und dem heutigen fröhlichem Beisammensein. Wie freuten wir uns alle, als wir aus der Schule entlassen wurden. Noch klingen in meinen Ohren die Abschiedsworte des Pastor Falter: „So nun seid ihr der Schule entlassen, bleibt weiterhin brav wohin ihr auch geht und wo ihr seid. Ohne Fleiß kein Preis. Ehret das Alter, nehmet Lehre an, ganz gleich was ihr tut. Haltet die Augen offen und wenn mal das Leben hart mit euch spielt, verzaget nicht."

Wie hatte uns doch Lehrer Hatzig das Lied von der Glocke eingehämmert, wo es dann darin hieß: Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und Streben, muss pflanzen und schaffen, muss wirken und raffen, muss Wetten und wagen das Glück zu erjagen. Stolz zogen wir dann hinaus alle mit dem Ziel, Geld zu verdienen und den Eltern das Leben erleichtern zu helfen. Einer kam hier in die Lehre der andere dort in Arbeit. Wir hatten nicht die Jugend wie heute. Die Zeiten waren schlecht. Wir wissen es alle. Es wäre zu langweilig, Einzelheiten zu erwähnen.

Gerade unserer Generation hat das Leben besonders hart zugesetzt, zwei verlorene Kriege, zweimal vollständige Geldentwertung. Wir waren ohne Ausnahme hart und sparsam erzogen worden, so dass wir das Leben trotzdem gemeistert haben. Anderseits hat unsere Generation aber auch einen Aufstieg wirtschaftlicher Art erlebt, wie es wohl Generationen nach uns kaum wieder erleben dürften. Denken wir nur an wenige Hauptpunkte: Elektrizität, Telefon, Fahrrad, Auto, Rundfunk, Fernseher, Flugwesen, Unterseeboote, Atomzertrümmerung. Der Flug zum Mond ist in Vorbereitung.

Scheint es auch als habe das Leben mit harten Griffeln seine Spuren in den Gesichtern aller Schulkameraden gezeichnet, wir wollen sie aufwallen durch lauter Freude, Geselligkeit und Humor. Lasst Freundschaft und Kameradschaft nicht nur in den nächsten Stunden walten. Ob arm oder reich, nur keinen Dünkel, lasst uns Schulkameraden auch weiterhin bleiben, schlicht in Treue. Lasst uns ein Bund der Herzen der echten Kameradschaft und der Treue sein, denn was ist das Leben ohne Treue.
 
Die wichtigsten Ereignisse in unserem Leben!

  • Im Jahre 1886 wurde die Kirche erweitert.
  • 1888 die Wasserleitung verlegt.
  • 1889 kamen wir in die Schule.
  • 1890 wurde der Schützenhof gebaut und die große Flut war.
  • 1891 wurde die neue Schule gebaut.
  • 1892 erhielt Freienohl einen neuen Bahnhof und die Separation begann. Man sah das erste Fahrrad.
  • 1893 war der große Brand, wir kamen an diesem Tag in die große Schule.
  • 1894 wurde das Vereinshaus gebaut. Wir mussten bei der Grundsteinlegung singen.
  • 1895 und 1896 gingen wir zur ersten hl. Kommunion. Wir mussten die Kühe hüten, die Kartoffeln helfen ausmachen und den Bauern mit dem Flegel dreschen helfen.
  • 1897 wurden wir aus der Schule entlassen. Der eine kam in die Lehre, andere bei den Bauern oder gingen zur Glashütte.
  • 1900 verdiente man als Geselle pro Woche 5 Mark und die Kost. Jetzt begann der Aufbau der Industrie: Man sah das erste Auto. Dann musste man Soldat werden. Einige wurden selbstständig, und nun fingen die Sorgen an.
  • 1909 bekamen wir im Ort elektrisch Licht. Es wurde viel gearbeitet, und jeder konnte gut leben.
  • 1914 begann der erste Weltkrieg und endete mit vielen Hungerjahren.
  • 1922 waren wir alle Millionäre, und
  • 1923 waren wir so arm wie die Kirchenmaus. Kaum waren wir wieder an Geld gekommen, da kam 1933 der Umsturz. Jeder mag sich sein Kapitel davon denken.
  • 1939 kam der zweite Weltkrieg. An dessen erbärmlichen Ende wir heute noch leiden müssen.
  • 1948 gab es die Währungsreform. Wir haben fast nichts behalten, und sind zum größtenteils auf unsere Rente angewiesen. Vieles haben wir wahrlich erleben müssen, und wollen auch jetzt den Kopf nicht hängen lassen.

Drum wollen wir heute besonders unserm Herrgott danken, dass er uns 70 Jahre erleben ließ. So wünsche ich Euch allen „Frohe Stunden in unserer Runde"


Quelle: Kopien der Texte befinden sich in der Sammlung vom Raimund Gerke