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Das Diaporama-Team Franz-Josef Gerke und Jens Schröder
Der Charakterkopf Bruder Ulrichs ist der Mittelpunkt in der Diaporamaschau "Das Kartenspiel". Nach dem weltberühmten Lied von Bruce Low ist Franz-Josef Gerke aus Freienohl mit damals dreijähriger Diaporamaerfahrung eine Inszenierung auf hohem Niveau gelungen. Der Mönch mit langem, schneeweißem Rauschebart im Seitenschiff der St. Nikolauskirche in Freienohl wird geschickt in Szene gesetzt. Ein Assistent produziert mit Hilfe einer Sryroporplatte Licht auf das Gesicht des Benediktiner-Bruders, der diesmal nicht im Mönchs-Habit, sondern im langen Lodenmantel, nicht mit dem Gebetbuch, sondern mit einem Kartenspiel in der Kirche sitzt, wo die Geschichte beginnt.
Die meisten Schauen des Diaporama-Spezialisten Franz Josef Gerke erzählen eine Geschichte, die ihm irgendwo oder irgendwann bei einem Waldspaziergang oder in einer der wenigen Mußestunden eingefallen ist. Dann schreibt der 66 Jährige das Drehbuch und geht mit einer seiner zahlreichen Kameras auf die Pirsch. Meist jahrelang. Geduldig und mit viel Fachkenntnis. Hunderte Dias werden geschossen und die Besten für die Diaporamaschau verwendet.
Mit akribischer Genauigkeit entstehen Meisterwerke. Wie „Das Kartenspiel“, das den Schöpfer preist, die Entstehungsgeschichte der Erde erzählt und aus der Bibel zitiert.
Mit der Pointe, dass die Rechnung nicht ohne den Joker gemacht werden darf. Drei Jahre harter Arbeit stecken hinter dem exakt vier Minuten und sieben Sekunden fesselnden Diaporama. Eine Schau, die von Freunden des Fachs oft kopiert, jedoch in ihrer Brillanz nie wieder erreicht worden ist.
Franz Josef Gerke ist seit seinem 12. Lebensjahr von der Fotografie fasziniert und arbeitet heute in seinem eigenen Foto- und Tonstudio. Mit einer alten Plattenkamera seines Vaters wurden die ersten Aufnahmen gemacht und entstanden die ersten schwarz-weiß Abzüge mittels eines selbst gebauten Vergrößerers. Es folgten viele Stationen der Fotografie: Kleinbildfotografie, Normal und Super 8 - damals auch schon im Wettbewerb bis zum Jahr 2000 Mittel- und Großformatfotografie, vergrößert im eigenen Farblabor. Seit 2000 entwickelt und vergrößert er keine Farbfotos mehr, sondern überlässt diese Arbeit den Farblabors. Zu 90 Prozent belichtet Gerke Diafilme.
Vor fast 27 Jahren lernte Franz-Josef Gerke das gerade von Frankreich nach Deutschland gekommene Diaporama kennen. Und sein Leben änderte sich. „Von da an habe ich anders Musik gehört, anders gelesen. Bin anders gewandert. Und immerzu habe ich gedacht: Wie kann ich meine Gedanken in ein Diaporama umsetzen“, erzählt Gerke, der ständig auf der Suche nach spannenden, zündenden Ideen ist.
Das Diaporama müsse ein Augenschmaus, eine Freude für das Auge sein, meint er. Hören und Sehen müssten eins sein. Und es sei wie bei einem Kuchen. Er müsse schmecken, aber es gehe niemanden an, was drin sei.
1980 zeigt sich sein erst 14-jähriger Nachbar Jens Schröder am selben Hobby interessiert. Später ist er vom Fotografieren besessen wie sein Lehrmeister. Fortan bilden sie das Diaporama-Team Gerke-Schröder und der 66 Jährige nennt den jungen „mein Partner“. Der Nachbarjunge lernt begreifen, dass das Diaporama ein Vorführmedium ist, das sich zwischen der Tonbildschau und dem Film bewegt. Der richtige Einsatz der Überblendung lässt dem Betrachter einen weiten Spielraum zum Mitdenken. Es ist möglich, eigene fotografische Ideen so umzusetzen, dass „fotografische Kurzgeschichten“ entstehen. Jens Schröder wird jüngstes Mitglied in im Diaporama-Club Deutschland e. V International. Schwerpunkttätigkeit von Jens Schröder ist das Programmieren des Textes, der Sprache und der Musik. Was vor Jahren in mühseliger Kleinarbeit mit Tonbändern gemacht wurde, wir heute mit einem PC verarbeitet und gesteuert. Franz Josef Gerke sieht in der Clubmitgliedschaft heute keinen Sinn mehr. Die Mitglieder konzentrieren sich fast nur noch auf Reiseberichte.
Gerke liebt die eigenständige Geschichte: Erdacht, beschrieben, fotografiert und vertont. Das finden Gleichgesinnte zwar auch faszinierend, sind wegen der enormen Arbeit aber bald wieder von der Bildfläche verschwunden.
Obwohl seine Bilder zweifelsfrei als meisterhaft zu bezeichnen sind, nennt sich Gerke niemals Fotograf. Aus Respekt vor dem Titel. „Hobby-Fotograf“ ziert in Bescheidenheit seine Visitenkarte. Er will als Autodidakt verstanden werden, weil er alles, was er kann und was er macht, sich selbst beigebracht hat. Und der quirlige Rentner, der es sich nicht vorstellen kann mit einer Flasche Bier in der Ecke zu sitzen, berichtet: „Es gehören viele Faktoren dazu, einen Diafilm richtig zu belichten: das passende Licht, klares Wetter und die richtige Wolkenformation.“ Neben der Fotoausrüstung liegen aber auch Axt und Säge, um im Notfall freie Sicht zu bekommen.
In den 50 Jahren seiner Hobby-Fotografie hat Franz Josef Gerke 50 000 Dias und Negative aufgenommen. Daraus sind 65 Schauen und Geschichten geworden. Was ist mit dem Rest? Gerke: „Wenn eine Diaporamist eins zu fünf arbeitet, ist er ganz gut. Das heißt: 500 Bilder werden gemacht, 100 kann man als perfekt gelungen gebrauchen. Die anderen 400 „sterben“ bei der Auswahl auf dem Leuchtpult.
Denn man muss sich auch von guten Dias trennen, wenn sie nicht in die Schau passen. “Der riesige Rest wird in Hängemappen aufbewahrt. Gerkes Archiv ist penibel geordnet: „Bei mir wird nicht gesucht, sondern gefunden.“ Das gilt auch für die ebenso geordneten Recherche-Unterlagen und Drehbücher.
Um so geordnet und in Ruhe arbeiten zu können, hat Franz Josef Gerke im Keller seines Hauses 24 Kubikmeter Felsen eigenhändig ausgehoben und sich sein Foto- und Tonstudio geschaffen. Überhaupt: „Man muss was in den Armen haben“, schmunzelt der Weißhaarige. Zu seiner exakt 308. Veranstaltung im Sauerländer Hof im Nachbarort Wenholthausen, wo ich ihn kennen lernte, schleppte er selbst schwer: Projektoren, Leinwand, Musiktechnik und Steuergeräte.
Diesmal geht es um die Vorführung alter Postkarten, die der Freienohler Herbert Stracke über Jahre von seinem Heimatort Wenholthausen gesammelt und die Gerke zu einer Diaporamaschau zusammengestellt hat. Die besten Fundstücke aus dem riesigen Fundus des Sammlers bleiben so in einer sehenswerten Schau der Nachwelt erhalten. Und wer erwartet hatte, der Abend sei auf alte Schätzchen begrenzt, wurde von Franz Josef Gerke freudig überrascht. Sechs weitere Diaporamen gaben einen begeisternden Einblick in sein schöpferisches Schaffen.
„Die Zwergenhöhle“ erwies sich als eine typische Gerke-Geschichte. Bizarre Formen einer idyllischen Winterlandschaft zaubert er auf die Leinwand, eingebunden in ein kleines Märchen mit großer Aussagekraft. Wie oft mag sich der Hobby-Fotograf kalte Füße geholt haben? Die Bilder wurden bei 20 Grad minus gemacht und mit eiskalten Fingern aufgenommen. Auch hier wurde der Schaffende seinen selbst gestellten hohen Ansprüchen gerecht: „Dem Betrachter muss das Herz aufgehen. Ich fotografieren nicht allein mit meinen Minoltas, sondern mit meiner Seele.“ Deswegen fährt der Perfektionist zu ein und demselben Motiv zigmal hin, bevor Sonne, Wolken, Stimmung und Umgebung passen und letztlich der „Schuss“ sitzt. Die Spiegelung im Wasser spielt dabei eine ebenso große Rolle wie der genau an diesem Tag so schön blühende Ginster.
Auch Gedichten in plattdeutscher Sprache hat sich Franz Josef Gerke mit seinen Kameras gewidmet.
So entstand "Hennesken bichtet". Mit eindrucksvollen Bildern aus der Kirche und dem Pastorat Eversberg. Die jungen Darsteller in der Bank vor de Beichtstuhl wurden für ihre Geduld mit einem Eis belohnt. Und die Zuschauer sind fasziniert von dem fotografisch perfekt umgesetzten platt deutschen Kleinod, das sich um di Kleinigkeit einer geklauten Zigarre rankt.
Ebenfalls plattdeutsch und mit viel Tiefgang tritt „Et sailige Drütken“ auf, das bereits im Himmel, den Herrgott um Rückkehr auf die Erde bittet. Der erfüllte Wunsch verwirklicht sich einer Landung auf dem Küppelturm in Freienohl Und beim Streifzug durch die ehemalige Heimat versteht Drütken die Welt nicht mehr. So hektisch und modern, so neuartig und fremd ist ihr die Heimat geworden. Mädchen tragen Hosen und Jungen lange, gefärbte Haare.
So wird eine kleine Geschichte zum sehenswerten Streifzug durch die Heimatgemeinde des Hobby-Fotografen. Franz Josef Gerke zeigt nicht einfach Landschaftsbilder. Er vermittelt statt Ansichten Einsichten, verpackt in eine nette Geschichte, vorgetragen wieder von Franziska Sell.
Wie aufwändig Gerkes Recherchearbeit ist, wird mit dem Titel „Wie kommt der Schutzheilige St. Nikolaus ins Sauerland?“ deutlich. „Alle Aussagen“, versichert der 66 Jährige, „müssen Hand und Fuß haben. Was ich nicht beweisen kann, kommt nicht in die Schau.“ Schließlich wird das etwas über 24 Minuten dauernde Diaporama zu einem historischen Streifzug durch das Sauerland und die Haar mit selten gesehenen Aufnahmen von Kirchen und Klöstern. Mit Detailaufnahmen von hoher Aussagekraft, mit prächtigen Ansichten von Orten der Nikolausverehrung, dazu mit einem lückenlos recherchierten Text, der jedem heimatgeschichtlich Interessierten Anerkennung abverlangt. Zehn Monate hat Gerke allein an diesem Projekt täglich gearbeitet.
Und wer glaubt, Franz Josef Gerke zeige mit seinen Bildern nur die schöne, heile Welt, sieht sich mit der Diaporamaschau „Die letzten sieben Tage der Erde“ in einen Bereich seines künstlerischen Schaffens versetzt, der ebenso bedrückt wie begeistert.
Von 1983 bis 1989 entstand ein Werk nach dem Wort zum Sonntag. Von der „Schöpfungsgeschichte – rückwärts“ war Gerke überwältig. Nun sind es seine Zuschauer. Die bunten Blumenfelder und rauschenden Wellen der heilen Welt wandeln sich in das Drama des selbst verschuldeten Weltuntergangs in dem Moment, als das Kruzifix in die Mülltonne geworfen wird. Das Sterben beginnt auf der Leinwand so dramatisch, dass es den Zuschauer fröstelt.
Als Großer der Branche erweist sich Franz Josef Gerke mit einem Feuerwerk aus Farben: „Die Seifenblase.“ „Da sehen Sie Farben, die Sie noch nie gesehen haben“, verspricht das fotografierende Energiebündel. Und übertrifft sich selbst mit dem gewaltigen Anspruch, mittels Kamera in eine Seifenblase zu kommen.
Vor die Schau haben die Götter den Schweiß gesetzt. In langen Wintermonaten baute sich Gerke ein riesiges Stativ, entwickelte für den ungeheuren Versuch spezielle Vorrichtungen. Es wurde geschaffen, getüftelt und geprobt. Niederlagen stand schließlich das Glück des Gelingens gegenüber. Ein Genuss. Immer wieder neue, nie gekannte Farberlebnisse und gewaltige Eindrücke. Auf Film festgehaltene Farb-Explosionen.
Sein Nachbar, Studienrat a. D. Winfried Rebbe, nennt die Schau ein Feuerwerk der Farben und Formen. Er formuliert: „Zartheit, Achtsamkeit sind gefordert, wenn eine Seifenblase ein wenig Lebenszeit genießen soll. Wie schnell zerplatzt ein hauchdünnes, leichtes, tanzendes und schillerndes Kunstwerk. Was geschieht, wenn ein suchender, neugieriger und forschender, ein kreativer und geduldiger Geist die Entdeckungsreise in die Seifenhaut unternimmt? Es eröffnet sich mit Einfühlungsvermögen, Licht und geschickter Fotoeinstellung ein berauschendes Zauberreich.
Es ist ein Reich aus Tausenden von Farben und Formen, jeder Augenblick eine Wunderwelt der Schönheit, der Harmonie, der tanzenden Ekstase.“ Spätestens mit diesem Werk hat Franz Josef Gerke, der sich bescheiden jedes Titels erwehrt, bewiesen, dass er ein Künstler ist.
Bericht von Elmar Bamfaste, Sauerland Aktiv, Frühling 2003